vom verlassen

irgendwann
verließ ich
mich nicht mehr
auf andere
zu oft hatten sie
mich verlassen
längst bevor ich
sie verließ
es hinge nur
von mir ab
meinte ich
und habe mich
nur noch auf
mich verlassen
ich erwartete
sonst nichts
ich verließ mich
auf mich
nicht nur ich
verließ mich
auf mich
ich verließ mich
allmählich
verließ mich
und kam mir
abhanden

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berichte von einsamkeit

16

sie saß
im halbdunkel
ihre knochigen hände
im schoß verschränkt
sie sah die sonne
hinter dem grauweiß
verschwinden
der alte regulator
zerhackte die stille
das bunte papier
hatten ihre hände
glattgestrichen und
vorsichtig gestapelt
die bänder aufgerollt
auf dem schartigen tisch
das ihr zugedachte
(pralinen und tonikum)
und die verblassende
erinnerung an diese
eine stunde da
das leben auf der
durchreise war
das lachen der
kinder das singen
die wärme ihrer küsse
wenn sie ihre gaben
entdeckt hatten
bis die eltern zum
aufbruch mahnten
im takt der zeit
den sie nun wieder
hören konnte dort
im zwielicht sitzend
die hände im schoß
in wachsender
dunkelheit
wartend
auf die
sterne

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auskunft: nebenan. #lyrimo No. 24

sie zeigt sich
äußerst selten
ist wohl
nicht mehr
besonders fit
leise ist sie
klein und leicht
ihre schritte fast
ohne geräusch
das haar silbern
die schmalen
hände faltig
besuch? besuch
hat sie nie
glaube ich
ist wohl allein
ob sie gern
allein ist?
was weiß ich?
was weiß ich
überhaupt
von ihr?
ob sie wohl
kuchen
mag?

impuls: ein stück kuchen für die nachbarin

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verbindung. #lyrimo No. 22

wie immer
saß sie dort
auf der rechten
sofaseite
ans kissen gelehnt
die hände im schoß
übereinander gelegt
und schaute wie
der sprecher das
weltgeschehen
erklärte
wie stets
schaute sie
die nachrichten
wie sie es immer
mit ihm getan
60 jahre lang
jeder auf
seinem platz
waren sie sich
dabei so nah
wie stets also
fühlte sie diese
viertelstunde
seine nähe
wenn sie rechts
ihren platz einnahm
seinen platz konnte
er schon lange
nicht mehr
besetzen

impuls: abwesende anwesenheit

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berichte von einsamkeit #lyrimo No. 13

15

damals
als die träume
geboren wurden
dieses damals
taucht manchmal noch
im nebel auf
diese träume von
der goldenen zukunft
in schönheit
und glück
unfassbar glitten
sie ihm aus den händen
die nach dem
glas greifen
im rausch der jahre
entglitten ihm
die menschen
sein thron dieser
zerschlissene hocker
links am tresen
der letzte knopf am
fadenscheinigen sakko
spricht von
besseren zeiten
einst und
ein funken würde
strafft zuweilen
kurz seinen leib
der ihm das
nächste glas hinstellt
schweigend
weiß davon
nichts

impuls: märchenprinz im morgenmantel

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